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„Ich musste micht 35 mal mehr Überwinden was im Seminar zu sagen“

Poster Überwindung

„Ich musste mich 35 mal mehr überwinden im Seminar was zu sagen“

Die Angst in Seminaren etwas zu sagen, kennen wahrscheinlich viele Studierende und mir ist das sehr bekannt gewesen zu Beginn des Studiums und auch immer noch in neuen Gruppen ein Thema, das immer wieder kommt. Als eine Freundin und ich uns in dem letzten Jahr im Rahmen eines Seminars mit Bekannten und Freund:innen über Klassismuserfahrungen am Campus unterhalten haben, ist uns aufgefallen, dass das ganze Ausmaße hat, die auf dem Campus vorher für uns unsichtbar waren.

Die Personen, mit denen wir gesprochen haben, haben uns geschildert, wie sie von Dozierenden von oben herab behandelt wurden und ihnen weniger Wissen zugeschrieben wurde. In dem Fall der beiden Personen, mit denen ich sprach, hing das zusätzlich mit rassistischen Hintergründen zusammen: aufgrund ihrer Hautfarbe wurden ihnen zugeschrieben weniger zu wissen.

Meine Gesprächspartnerin, nennen wir sie mal Marie, erzählte, dass sie bei allem, was sie sagte eine riesige Angst entwickelte es laut in einem bestimmten Seminar zu sagen. Ich kenne sie als selbstbewusste, kluge junge Frau, die gern diskutiert und sich sehr aktiv in Seminare einbringt. Selbst wenn sie wusste, dass es richtig war und ein wichtiger Teil der Debatte werden würde, dachte sie sogar schon vor dem Seminar darüber nach, schrieb sich Phrasen auf die Hand um bloß nicht „dumm“ zu wirken und sich der dozierenden Person verletzlich zu zeigen, falls sie aufgerufen werden würde. Sie erzählt mir außerdem, dass der:die Dozent:in sich auch anderen POC gegenüber unangemessen verhielt und sie sich alle aber aus der Sorge heraus dann noch mehr benachteiligt zu werden, nicht trauten Kritik zu äußern.

Im Laufe der Forschung meiner Freundin, zeigten sich ähnliche Muster, auch wenn sie nicht von Rassismus betroffen ist: ihre Gesprächspartnerin, die ebenfalls aus einer Arbeiter:innenfamilie kommt, beschreibt sich als eine „Outsiderin“ in ihrem Studium. Sie musste sich im Raum Uni mit dem Fakt auseinandersetzen, dass alle anderen außer ihr anscheinend wussten, wie Uni funktioniert, wie der wissenschaftliche Fachjargon funktioniert, dass es für viele Mitstudierende Voraussetzung zum Studium war entweder schon Auslandspraktika gemacht zu haben oder welche in Planung zu haben und viele Mitstudierende auf ein Netz an Kontakten zurückgreifen konnten um Praktikumsplätze oder Informationen zu bekommen. Für sie ging das stattdessen mit „35 mal mehr Aufwand“ einher: immer, immer wieder nachfragen, an allen möglichen Stellen wie was funktioniert und ähnlich wie Marie in Seminaren die große Überwindung zu haben sich einzubringen aus der Unsicherheit heraus anscheinend nicht eingeweiht zu sein wie alles funktioniert.

Dann zusätzlich noch ein Pflichtpraktikum navigieren, für das sie aufhören muss zu arbeiten und dann weniger Geld zur Verfügung hat als sie eigentlich braucht. Bezahlte Pflichtpraktika sind eine Seltenheit, wie wahrscheinlich jede:r weiß, der sich schonmal mit dem Thema beschäftigt hat. Abhängig von der eigenen Einkommenssituation ist das aber mehr oder weniger ein Problem: Die genannte forschende Freundin und ich sind beide in der privilegierten Position von unseren Eltern finanziell unterstützt zu werden und sicherlich hätten wir bei einem unbezahlten Praktikum weniger zur Verfügung, aber es würde nicht zu Existenzängsten bei uns führen. Aus dieser privilegierten Situation haben wir die Interviews auch geführt, weil wir offensichtlich unsere eigenen Zugänge immer mitbringen in die Forschungssituationen, in die wir kommen. Das Zuhören hat deutlich aufgezeigt, dass die Uni an vielen Stellen nicht so chancengleich ist, wie sie gern behauptet zu sein. Auch die Zahlen im Hochschulbildungsreport von 2022 zeigen, dass unser Bildungssystem offensichtlich nicht für jede:n gleich zugänglich ist: von 100 Nichtakademiker:innenkindern machen 20 ihren Bachelorabschluss, bei 100 Akademiker:innenkindern sind es lediglich 64 Bachelorabsolvent:innen. Für uns ist vor allem deutlich geworden, dass unsere Privilegien in der Forschung dazu dienen sollten, die Strukturen sichtbar zu machen, die Formen von klassistischer und rassistischer Diskriminierung unsichtbar machen wollen.

Deswegen möchten wir gern zum Schluss an dieser Stelle auch nochmal konkret formulieren, was unsere Gesprächspartner:innen sich wünschen von der Uni: einmal für die Dozierenden die Chance sich mit ihren Fehlern auseinanderzusetzen und eine Stelle zu haben an der sie gezwungen werden diese zu reflektieren. Dafür braucht es erstmal eine Stelle an der Kritik annonymisiert aufgenommen werden kann und gleichzeitig ernstgenommen wird, sowie eine kontrollierende Instanz im Lehrkörper, die ihr Wissen an die Dozierenden weitergeben kann, die es brauchen. Auch einfach Workshops für den gesamten Lehrkörper wären ein guter Start. Denn das Wissen ist an vielen Stellen ja vorhanden, nur der Austausch unter den Fächern dann holperig. Außerdem ein Mentoring System, bei dem beispielsweise Dozierende bei Problemen rund um das Thema Universität und wissenschaftliches Arbeiten unterst tzen und als Ansprechpartner:innen dienen.

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