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  1. Poster & Erfahrungsberichte/

„Kein Kommentar“

Kein Kommentar

„Kein Kommentar“

(Fehlende) Kommentare spielen für mich im Zusammenhang mit Klassismus eine große Rolle. Ich bin aufgewachsen und lebe in einem sogenannten Problemstadtteil, in Bremerhaven. Dieser wird in der bundesweiten Presse auch gerne als „Asi-Gegend“ (Süddeutsche Zeitung), „der ärmste Stadtteil Deutschlands“, oder „Schandfleck“ (SAT.1 Frühstücksfernsehen) bezeichnet. Keine dieser Aussagen ist in meinen Augen berechtigt, mir geht es viel mehr darum, dass diesem Ort und auch seinen Anwohnenden ein Ruf verbunden mit Armut und Abwertung anhaftet. Manchmal wirkt es für mich fast wie ein unangenehmer Geruch, der scheinbar auch an mir haftet, wenn ich die Uni betrete. Damit habe ich mich lange recht allein gefühlt. Aus meinem damaligen Abschluss-Jahrgang sind nur ich und noch ein anderer Junge überhaupt an die Oberschule gekommen. Was sicher auch damit zusammenhängt, dass wir beide zwei der sehr wenigen Schüler:innen an der Schule waren, die nicht durch Rassismus zusätzlich benachteiligt wurden. Von meinen Mitschüler:innen, Nachbar:innen, Freund:innen kommt hier an der Uni also sowieso schonmal: Kein Kommentar, denn es ist keiner da. Doch es sind natürlich noch so viel mehr Menschen, die hier abwesend sind. Es sei denn, sie arbeiten als Reinigungskräfte, im Service o.Ä., womit sie dennoch von jeglichen Diskursen Uni intern ausgeschlossen sind.

Doch auch Student:in sein heißt nicht automatisch, sich an Diskursen beteiligen zu können.

Meine ersten Wochen an der Uni dachte ich: „ich will zwar unbedingt Studieren und mich mit all diesen Themen beschäftigen, die mich so sehr interessieren, aber ich muss es wohl hinschmeißen, denn: ich verstehe einfach kein verficktes Wort.“ In den verschiedenen Fächern, war es unterschiedlich ausgeprägt, doch die Sprache war unglaublich hochgestochen. Die meisten Lehrenden & auch andere Studierende schienen kaum bis gar kein Bewusstsein für unterschiedliche Benachteiligungen und Lebensrealitäten, oder auch Vorwissen zu haben. An meinem eingeschüchtert zuhörendem Schweigen störte sich Niemand wirklich, denn viele andere taten es mir gleich. In Philosophie waren es in einem 30-Personen-Kurs nur eine Hand voll männlicher Studierender die sich mit sehr dominantem Redeverhalten quasi allein unterhielten. Ich bin eigentlich kein kleinlauter zurückhaltender Mensch, der sich in Diskussionen nicht beteiligt. Aber an der Uni, während meines gesamten Bachelorstudiums, war ich es. In einem Fach, das quasi vom Diskurs lebt, sagte ich mein komplettes Studium lang kaum ein Wort, also war ich zwar anwesend, aber sprachlos und konnte lange Zeit keine Kommentare abgeben. Ich war damit beschäftigt die Sprache zu lernen, in der gesprochen wird, obwohl es sich um meine Muttersprache handelte.

Insgesamt könnte ich eine lange Liste an verschiedenen Erfahrungen und Kommentaren einfügen, die ein Markieren als „anders“ oder „unpassend“ deutlich machen. Doch es geht auch über das gesprochene Wort hinaus. Das Gefühl, ein Fremdkörper zu sein ist auch auf subtilere Weise spürbar: Ein abfälliger Blick auf die Plastik-Cola Flasche, Würgegeräusche von der Sitznachbarin, als ich genüsslich in mein mitgebrachtes Wurstbrötchen biss (war immerhin keine BIFI), oder die verächtlich gerümpfte Nase, als ich mein etwas mitgenommenes und evtl. leicht dreckiges Federmäppchen auf den Tisch legte.

Fehlende Vernetzung und soziale Kontakte an der Uni, haben ebenfalls dafür gesorgt, dass ich mich mit den eigenen Gedanken, Kommentaren und Ideen, auch bezüglich der Studieninhalte nicht mit meinen Komiliton:innen austauschen konnte.

Meine Freunde zuhause konnten mir keine hilfreichen Kommentare zu meinen Hausarbeiten geben. Neben Lohnarbeit, Pendeln, Pflege meines sterbenden Vaters, anschließende Trauerarbeit und weitere Care-Arbeit für andere Personen, waren ein paar der Gründe, weswegen es für mich nicht möglich war an verschiedenen Freizeitgestaltungen nach der Uni teilzunehmen. Eine Dozentin sagte am Tag der Lehre in einer Gesprächsrunde zum Thema Klassismus, dass sie ja auch hauptsächlich Freundschaften unter verschieden privilegierten Studierenden als eine Lösung für das Problem sieht. Ich konnte in dem Moment vor Wut nichts sagen, aber eigentlich sollte sie wissen, dass sich diese Freundschaften nicht alle leisten können. Es ist so ähnlich wie bei Gruppenarbeiten an der Uni. In einer Gruppe mit Studierenden mit verschiedenen Ressourcen ist die Person, die am wenigsten Zeit hat meist auch die Person, die als „unsozial“ markiert wird. Eine Benachteiligung wird somit verkannt und es wird einem auch noch unkollegiales Verhalten vorgeworfen. Oder aber man hängt sich dermaßen rein, um ja nicht in diese Falle zu tappen, opfert Ressourcen, die man eigentlich gar nicht über hat und ist frustriert und genervt, wenn man merkt andere haben so viel mehr und können mit wenig Investition in die Arbeit dennoch gut durchkommen. In Gruppenarbeiten an der Uni wird einem noch einmal ganz deutlich vor Augen gehalten, wie unterschiedlich die Möglichkeiten und auch Anstrengungen sind. In meinen Augen sollten diverse Lebensumstände berücksichtigt werden und ein Studium für Jede:n möglich sein, ohne sich blank machen und Kommentare zu den eigenen Ressourcen und Einschränkungen machen zu müssen, da diese mit sehr privaten Umständen verbunden sein können, denn es geht um noch mehr als Geld.

Für Verbesserung sehe ich die Universität als Institution in der Verantwortung dahingehend aktiv zu werden und strukturelle Veränderungen anzugehen.

Ein Anfang wäre eine intensive Sensibilisierung des Hochschulpersonals, für unterschiedliche Lebensbedingungen, sodass diese nicht mit Faulheit, Dummheit oder fehlendem Antrieb verwechselt werden. Viele Studierende können beispielsweise gar nicht zu jeder Lehr-Veranstaltung vor Ort sein und wären auf hybride Veranstaltungen digital angewiesen. Von Lehrenden kommen jedoch Kommentare wie: „Es wäre doch wirklich schön, wenn ihr alle in Präsenz lernen wollen würdet“, ignorierend dass es um ein wollen hier oft gar nicht geht.

Viele Studierende können es sich nicht leisten, genau dann zu lernen, wenn Vorträge, Gruppenarbeiten etc. angesetzt werden, die eine indirekte Anwesenheitspflicht und zeitliche Beschränkungen darstellen. Von vielen werden die Lebensumstände komplett verkannt und mit fehlendem Willen und Leistungsbereitschaft verwechselt. So kommt auch, trotz Immatrikulation, von so vielen Studierenden: kein Kommentar. In meinem Umfeld zuhause wuchsen mit der Zeit verächtliche Kommentare, in Bezug darauf, dass ich nicht mehr so sprechen würde, dass Jede:r mich verstehen kann. Das trifft mich sehr. Da ich doch weiß wie es ist, bemühe ich mich eigentlich sehr genau dies zu vermeiden, scheinbar erfolglos.

Es fühlt sich zunehmend so an, als hafte an mir auch ein Universitätsgeruch. Egal wo ich bin, scheine ich als unpassend wahrgenommen zu werden und keinen Erwartungen zu entsprechen. Besonders schmerzhaft, finde ich aber die Überraschtheit. Oft, wenn ich etwas sage, sehe ich die Überraschung in den Gesichtern mir gegenüber.

Man könnte meinen, dies sei doch aber auch erfreulich. Immerhin konnte ich Menschen von etwas überzeugen, was sie zuvor nicht gedacht hätten. Doch wenn ich ehrlich bin versetzt es mir jedes Mal einen Stich, weil es mir vor Augen führt, was eigentlich von mir erwartet wird. Für mich hat sich mein Leben an der Uni sehr verändert, als ich durch Zufall eine Dozentin kennenlernte, die mit einem Schwerpunkt auf verschiedene Benachteiligungs- und Diskriminierungsformen arbeitet. Sie war auch sensibel für die Schwierigkeiten mit denen ich konfrontiert war und schien viele davon kommentarlos wahrzunehmen. Stattdessen kommentierte sie ungleiche Verhältnisse und Voraussetzungen in der Gesellschaft und an der Universität.

Ich war kurz vor Abschluss meines Bachelors und aufgrund verschiedener Umstände kurz davor, das Studium abzubrechen. Hätte ich an dieser Stelle keinen Zugang zu dieser Thematik gefunden, hätte ich keine Motivation mehr gehabt, das Studium zu beenden. So kam es, dass ich eine Forschungsarbeit über Studienabrecher:innen schrieb und ihre Kommentare sammelte.

Mittlerweile bin ich zurück an der Universität, mache meinen Master, beschäftige mich intensiv mit dem Thema Klassismus und schreibe diesen Kommentar. In der Hoffnung, dass es vielleicht irgendeiner Person hilfreich erscheint, zu wissen: Du bist nicht allein, auch wenn du dich oft so fühlst, den Eindruck hast fremd zu sein, dann liegt dies nicht daran, dass du etwas falsch machst. Es gibt so viele Menschen die auf unterschiedlichste Weise „durchs Raster fallen“ und deren Hintergründe nicht gesehen, falsch interpretiert, oder unpassend in den falschen Momenten in den Vordergrund gerückt werden. Du bist nicht zu faul, untalentiert oder feige. Im Grunde denkst du, wenn du solche Gedanken hast und dich so fühlst sogar genau folgerichtig, denn dein Umfeld ist so aufgebaut und strukturiert, dass es genau diese Folgen nach sich zieht. Nicht du oder deine Gefühle sind falsch. Fühl dich bitte nicht allein damit, denn das bist du nicht.

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